Beratungsfrage5. März 2024

Wutanfälle bei 7-jährigem Kind

Mein ältestes Kind Jonas ist 7, geht in die erste Klasse. Wenn ihm etwas gegen den Strich geht, reagiert er mit Wutanfällen, knallt die Türen zu, wirft mit Dingen um sich, auch nennt er mich dann alles mögliche. Auch macht er schon mal Sachen in der Wohnung kaputt. Ich würde ihn gerne dabei unterstützen, seine Emotionen besser zu regulieren. Ich lese oft, dass man Kinder durch solche Anfälle begleiten soll, aber mein Kind ist dann gar nicht zugänglich und schreit mich an, dass er alleine sein will. Was kann ich da tun?

Ja, gut dass du fragst, denn vielleicht haben sich da auch ein paar Missverständnisse eingeschlichen. Vorweg das: Dass einem 7-jährigen Kind auch Dinge manchmal gegen den Strich gehen, ist normal. Nicht normal aber ist, dass ein ansonsten normal entwickeltes 7-jähriges Kind regelmäßig komplett die Kontrolle verliert und dabei handgreiflich und zerstörerisch wird, ob gegen Sachen oder gegen Dich. Vielleicht ein paar Gedanken dazu, nimmt Dir gerne raus, was für Dich stimmig erscheint:

1.

Ein Kind „durch einen Wut- oder Frustrationsanfall zu begleiten“ kann Sinn machen, wenn du ein Kleinkind vor Dir hast, das außer sich ist und dann vielleicht das Signal braucht: die Welt ist sicher, Mama ist da! Aber selbst vom Kleinkind kommt oft das deutliche Signal: „Jetzt lass mich auch mal selber was mit mir ausmachen!“ …
… Aber Du hast hier einen 7 jährigen Jungen vor Dir, der Dir klar signalisiert, dass er sich gerade abgrenzen will. Das darf er.

2.

Ich halte es auch nicht für Deine Aufgabe, jetzt Deinem frustrierten oder zornigen Kind erklären oder zeigen zu wollen, wie man mit Zorn umgeht – das klappt nicht und ist ganz sicher der falsche Zeitpunkt (dazu gleich mehr). Und Du bist auch nicht der Coach oder die Therapeutin Deines Kindes, sondern seine Mutter, deren Grenzen Dein Sohn im Zorn offenbar massiv überschreitet und verletzt (es wundert mich, dass Du das in der Frage nicht thematisiert hast, denn mir fällt das stark ins Auge).

3.

Ich glaube, Dein Sohn sucht von Dir nicht Begleitung bei der emotionalen Kernschmelze, sondern er sucht Orientierung. Und zwar nicht von einem Coach, sondern von Dir als menschliches Gegenüber. Jemand also, der ihm zum Beispiel zeigt, was seine Handlungen, Worte und Emotionen bei Dir auslösen und bedeuten. Du *darfst* Deinem Sohn zeigen, dass er Dich verletzt und dass Du keinesfalls akzeptierst, dass er Dinge kaputt macht. Du *darfst* von Deinem 7-jährigen Kind erwarten, dass er das lernt.

4.

Jetzt sofort, während er tobt? Nein, das ist nicht realistisch. Aber wenn der Fluss wieder normal fließt, dann solltet ihr unbedingt, hartnäckig und immer wieder, miteinander reden. Zeig ihm, was Dich verletzt und wie belastend seine Ausbrüche für Dich und vielleicht auch die ganze Familie sind.

Du darfst als Eltern Forderungen stellen! Es sind ja konstruktive Forderungen, Liebesforderungen, wenn Du so willst! Also dass es besser läuft in der Familie, was für ein tolles Ziel!

5.

Dazu darfst Du Dir gerne vor Augen halten, was für eine tolle Arbeit als Mutter Du machst, indem Du die Familie am Laufen hälst und mit großem Ernst und gutem Willen das Beste versuchst. Du hast nichts verbrochen, Du darfst erwarten, dass Dein 7 jähriges Kind lernen kann, Rücksicht auf Dich zu nehmen. Nur mit einer solchen Haltung werden Deine Worte überhaupt klingen und wirken. Ist so. Weder Selbstmitleid noch Selbstvorwürfe sind für einen echten Austausch und Miteinander einladend.

6.

Natürlich fragst Du Dich auch, was vielleicht hinter den häufigen Zornausbrüchen stehen könnte. Ist die Basis der kindlichen Entwicklung gut abgedeckt? Also kann sich Dein Kind Zuhause grundsätzlich wohl fühlen? Hat er genug „Auslauf“, also spannende Sachen, bei denen er wirksam sein kann und auch Selbstbewusstsein erntet? Kann er genug spielen, tun und Kind sein? Erlebt er momentan Spannungen, Stress oder Dinge, die ihn überfordern? Daran könnt ihr dann weiterdenken und eventuell gegensteuern.

7.

Um es zusammenzufassen: ich finde, dass nicht nur Dein Sohn, sondern auch Du an dieser Situation wachsen kann. Du kannst lernen, dich zu zeigen, denn nur so kann Dein Kind wissen, wie Du Dir ein gutes Miteinander als Familie vorstellst. Was hier vor Ort normal ist und was nicht. Das geht nicht über Worte, sondern über Deine Haltung, Dein SEIN. Das ist Deine Kraft und Größe sozusagen. Durch diese eigene Klarheit übernimmst du Verantwortung für ein gutes Miteinander. Dein Kind kann dann seinen Teil dazutun.

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10 Kommentare

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  • Monika K.

    Wenn ein Kind mich mit unschönen Worten angeht oder sogar anschreit, sage ich möglichst ruhig (kann man einüben), was ich von ihm will: “Hör auf!” und falls möglich: “Wenn du dich beruhigt hast, können wir wieder reden.” Dann drehe ich mich sofort weg, gehe weg, und mache konzentriert etwas anderes. Nicht ein schreiendes Kind auch noch mit Zuwendung belohnen.
    Das klingt leider lehrmeisterlich, ist aber aus vielen Erfahrungen und Übungen heraus gewachsen, inzwischen Erfolg-reiche Routine. Viel Erfolg!

    • D. Anna

      Ja, Liebesentzug funktioniert schon eh und je wunderbar. Ist nur die Frage zu welchem Preis

      • Pet Baumi

        Das hat mit Liebesentzug überhaupt nichts zu tun. Das ist Abgrenzung und man zeigt, dass das kein Umgang in der Familie ist.

        • Monika K.

          @Pet Baumi: Sehr richtig!

        • Mimi

          Ich würde sagen es kommt auf die innere Haltung an. Ich kann mich von einem Kind abwenden, um mich selbst zu schützen, weil es mir zu viel wird und mich ihm wieder zuwenden, wenn es für mich wieder geht. Oder ich kann das tun aus einem Gedanken heraus und mit dem Zweck, dass das Kind eine negative Erfahrung macht und mit der Hoffnung, es würde dann sein Verhalten ändern (Behaviorismus) – was meiner Meinung nach vielleicht bei Hunden angebracht ist, bei Menschen eher weniger.
          Die Formulierung “ein schreiendes Kind nicht mit Zuwendung belohnen” heißt ja im Umkehrschluss “ein schreiendes Kind mit Nicht-Zuwendung (abwenden, ignorieren) bestrafen”.
          Vielleicht war dieser Ausdruck auch nur ungünstig gewählt und gemeint war wirklich der Selbstschutz – ich hoffe es.

      • Monika K.

        Das ist KEIN “Liebesentzug”, sondern Verhaltenstherapie, bzw Selbstschutz: ‘Ich will das so nicht.’ – Wenn wieder normale Kommunikation möglich ist, bin ich ja sofort wieder normal !! dabei. Das bedeutet: Ich mag Dich, oder als Eltern, ich liebe Dich. Aber dein Verhalten ist nicht o.k.

  • Madlen

    Ich finde es sehr wichtig, der Wut Raum zu geben, aber konstruktiv und nicht auf destruktive Weise (etwas kaputt machen usw). Ich würde ihm Kissen geben, auf die er hauen kann oder ihr macht zusammen eine Kissenschlacht. Schimpfen kann er auch, aber nimm es nicht persönlich. Er ist in seiner Wut und macht es für sich, nicht gegen dich.

    Wenn die Wut allerdings sehr sehr oft und heftig da ist, würde ich mir Fragen stellen:

    Seit wann ist das so?

    Was hat dazu geführt, dass es so ist, wie es ist?

    Was möchte mir das Kind spiegeln? (Erlaube ich mir, wütend zu sein? Wird in der Familie Wut verdrängt? Hat er zu wenig Führung und zu viel Verantwortung? Bin ich in meiner Kraft? Ist mein Mann in seiner Kraft? Es gibt so viele Fragen, die man sich stellen kann.)

    Und wie kommen wir aus diesem Muster wieder raus?

    Ich finde, es gibt soo viele verschiedene Ebenen.

    Spüre in dich/in ihn hinein. Dort wirst du die Antwort finden.

    Vielleicht kannst du ihn mal die Wut malen lassen? Welche Farbe(n) hat sie? Wie sieht sie aus?
    Manchmal ist es nämlich auch gar nicht die Eigene, sondern eine Fremdenergie der Ahnen.

    Und wenn ihr so gar nicht weiter kommt und es die ganze Familie sehr belastet, empfehle ich euch eine Familienaufstellung.

    Von Herzen Madlen

  • Friedo Pagel

    M.E. sind die Punkte 2 (= nicht erklären, sondern die Gefühle des Kindes erst einmal akzeptieren) und 3 (= dem Kind die EIGENEN Gefühle zeigen, die es durch sein Verhalten auslöst) das A&O.
    Einschub: Sollte das Kind darüber hinaus ein ADHS haben, ist es mit den Beschimpfungen natürlich so eine Sache. Fremden gegenüber passiert das in dem Fall ja nicht, weil genug Spannung da ist. Auf’s Übelste beschimpft wird immer nur die geliebteste Person, deren Liebe sich das Kind absolut gewiss ist. Einerseits ein “schönes” Kompliment, was einen auf der anderen Seite aber auch total hilflos macht. Geschieht so ein ADHS-Wutanfall aus einer Stimmung von Leere und Langeweile würden bei vorhandenen Geschwistern aber zuerst einmal die Geschwister geärgert.
    Zurück zum allgemein: Die Möglichkeiten, ein Kind aus einem Wutanfall heraus zu holen, sind vielfältig und altersabhängig. Mit Humor und Gelassenheit hat es eigentlich am besten geklappt. Ein 3-jähriges Kind muss vielleicht sogar so eine Phase durchmachen. Ein 7-jähriges ist meist noch gut ablenkbar (“da ist gerade ein Kamel am Fenster vorbeigeflogen” … … “ein Kamel kann doch gar nicht fliegen” kann den Anlass der Wut vergessen machen). Und bei einem 12-jährigen (“Ok, wollen wir mal ausprobieren, wer kann wütender sein, Du oder ich?”). Gelingt es aber, ein Rückzugsritual aus solchen Situationen zu finden, ist das allemal besser. Obiges ist mehr eine Art “akuter Notwehr”.
    Erinnern wir uns einfach an die alten Filme mit Adriano Celentano und Ornella Muti. Vor Eifersucht ist er total wütend. Was passiert, wenn man ihm erklärt, dass er dafür doch gar keinen Grund habe? Er wird doppelt wütend! Also muss er sich zurückziehen zum Holz-hacken oder Wein-treten. Und nach einiger Zeit kommt er als braves Lamm wieder zurück. Warum sollten wir von unseren Kindern etwas anderes erwarten? Etwa, dass sie in einer solchen Situation unsere Erklärungen verstehen und uns folgen? Das kann nicht klappen. So sind wir Menschen einfach nicht.

  • Jann

    Selbstverständlich ist es wichtig zu ergründen, was die Wut auslöst. Der Junge in dem Beispiel ist ja nicht “böse”, sondern in Not. Ich glaube nicht, dass irgendjemand so wütend sein möchte, dass er oder sie jemand anderen verletzt und Dinge zerstört. Ich finde es aber auch wichtig deutlich zu vermitteln, dass es Grenzen gibt. Das hat auch nichts mit Liebesentzug zu tun, wie weiter oben in einem Kommentar mitgeteilt. Niemand muss sich verletzen (physisch, psychisch) oder sein Eigentum mutwillig beschädigen lassen. Auch Eltern nicht. Sicher haben Eltern eine größere Toleranz. Das muss auch so sein. Schließlich ist die Familie der Schonraum, in dem man sich ausprobieren kann, über die Stränge schlagen. In dem man lernt, was geht und was nicht. Aber dazu gehört auch, dass wir Eltern eine Antwort geben müssen. Und die kann nicht lauten “Hauen (Gewalt) gegen andere oder Dinge geht nicht. Es sei denn es sind deine Eltern. Dann ist das okay.” Wo wäre da die Grenze? Mit 7 okay, mit 15 nur manchmal, mit 25 bitte nicht mehr? Nochmal, im Fordergrund muss stehen herauszufinden, was los ist. Aber sich selbst zu schützen, ist kein Liebesentzug. Es ist völlig in Ordnung zu zeigen, deine Wut ist okay. Du bist okay. Aber dein Verhalten überschreitet eine Grenze.

  • Sophia

    Unsere Tochter hatte das im ersten Schuljahr auch. Sie hat sich in der Schule angepasst, musste viele Zurechtweisungen und viel neue Fremdbestimmung ertragen, viele neue Regeln einhalten und Erwartungen irgendwelcher Menschen erfüllen. Diese Anspannung hat sie zuhause dann abfallen lassen und hatte vor allem am Ende einer Woche (freitags) starke Wutausbrüche. Mir hat damals das Buch „Aggression“ von Jesper Juul geholfen. Ich habe mit Lehrkräften und Betreungspersonal gesprochen um deren Wahrnehmung zu erfahren und mir in guten Phasen von meiner Tochter erzählen lassen, was sie in der Schule so erlebt. Da gab es viele kleine Ungerechtigkeiten, Anschuldigungen, Ermahnungen, Ablehnungen, Misserfolge, Forderungen und viel bis ausschließlich Fremdbestimmung, und zwar trotz Montessorikonzept. Manche Kinder haben ein besonders starkes Autonomiebestreben und mit den Schulstrukturen dadurch größere Probleme als andere. Hinzu kommt, dass nicht nur Babys und Kleinkinder Wachstumsschübe haben, sondern auch bei älteren schubweise Veränderungen im Gehirn stattfinden, während derer der präfrontale Kortex (Impulskontrolle) weniger leisten kann.
    Die Phase heißt auch Wackelzahnpubertät. Erziehungsversuche sind dann nur für das eigene Gewissen… An erster Stelle steht während der akuten Aggressionen der Schutz von involvierten Personen und Gegenständen. Das ist wie bei einem Unwetter: Wenn es da ist, kann man nur noch warten bis es abzieht.
    Danach kann man fragen, was das Kind gerade belastet oder ob an diesem Tag zuvor etwas aufwühlendes vorgefallen ist. Denn der oft geringe Anlass ist nicht die Ursache für so heftiges Verhalten. Dass das nicht angemessen ist, wissen und spüren Kinder in dem Alter. Es beugt auch überhaupt keinem nächsten Ausbruch vor, von sich selbst oder der Wirkung der Ausraster auf andere zu sprechen, bevor man auf die Gefühle des Betroffenen eingegangen ist. Das kann sogar nach hinten losgehen und bei den nächsten kindlichen Rachegefühlen gezielte Attacken zur Folge haben.
    In solchen Phasen hilft es, die Ansprüche und Forderungen zuhause zu senken. Wenn das Fass voll ist, ist es eben voll. Dann auch noch auf die Erfüllung von Pflichten zu bestehen, Kooperation gegen Widerstand durchzusetzen (Gehorsam) oder Wünsche oder sogar Bedürfnisse zu übergehen bringt das Fass zum Überlaufen und löst Wut aus. Die Wut hat eine Botschaft zu (mindestens) einem unerfüllten Bedürfnis. Findet heraus, welche Botschaft das ist. (Z.B. „Mir ist das alles zu viel, was von mir verlangt wird!“ Oder „Ich bekomme zu wenig Schlaf.“ „Ich fühle mich nicht gesehen/ gehört.“ „Ich fühle mich nicht wertvoll, weil ich anscheinend nie genug bin.“ o.ä.)

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